31.03.2006 - Totale Sonnenfinsternis 2006 - Ausflug ins Bergdorf Selge

Der Ausflug nach Selge war wieder sehr interessant und ereignisreich. Nach der Sonnenfinsternis, war der Ausflug nach Selge der prägensdste Eindruck der Reise. Selge (in Google Maps wird es Altinkaya genannt) ist ein kleines verschlafenes Bergdorf mitten im Nichts in ca. 1000m Höhe. Früher war an dieser Stelle eine römische Siedlung, was das teilweise erhaltene Amphie-Theater eindrucksvoll belegt.

Auf dieser Tour waren Maja und Michael (ein Mitreisender, der bereits zwei Tage zuvor mit einem Motorrad in dem Dorf war) mit dabei. Er hatte angeboten sich uns anzuschließen. Da wir eine etwas größere Tour geplant hatten und er sich schon etwas auskannte, nahmen wir das Angebot gerne an. Für die Tour benötigten wir auf jeden Fall ein Geländewagen. Bis Selge sind die Straßen in einem Zustand, der auch mit einem normalen Auto leicht zu bewältigen ist, aber die weitere Tour war nach Aussage von Michael ohne Jeep oder geländegängigen Motorrad nicht machbar. Wir reservierten uns also bei einer lokalen Autovermietung einen Jeep.

Wir wollten um 10 Uhr losfahren und hatten uns 9:30 in der Lobby des Hotels verabredet. Bis dahin verlief noch alles gut, aber ab jetzt sollte das Abenteuer beginnen. Es begann damit, daß der Autovermieter es nicht schaffte das Auto rechtzeitig bereitzustellen. Nach vielen hin und her und etlichen Telefonaten des Vermieters war endlich - reichlich 1 Stunde später - das Auto da. Ein Suzuki Samurai. Eine kurze Proberunde auf dem Hotelplatz offenbarte bereits die ersten Schwachstellen des Autos. Die Lenkung hatte sehr großes Spiel (etwa wie beim Trabbi). Anschließend sagte uns der Vermieter, daß der 4-Rad-Antrieb kaputt ist und nur 2-Rad-Antrieb funktionierte. Wir fielen aus allen Wolken, weil uns klar wurde, daß wir damit die geplante Tour vergessen konnten. Nach weiteren Verhandlungen konnten wir zumindest noch einen kleinen Rabatt aushandeln und fuhren los. Wir hatten beschlossen nur zum Bergdorf Selge und wieder zurück zu fahren.

Während der ersten Rast viel Maja auf, daß im Ersatzrad eine halbleere Flasche mit Bremsflüssigkeit lag. Aufgrund der bereits bekannten Defekte, schauten wir uns die Bremsanlage etwas genauer an - soweit das ohne Hebebühne und Taschenlampe möglich war - konnten aber keinen ernstzunehmenden Defekt feststellen. Ein Bremsschlauch fing an porös zu werden, der Rest sah gut aus. Trotzdem wurde uns etwas mulmig, da wir wußten, das wir die Serpentinen wieder runter mußten, die noch vor uns lagen.

Die Fahrt ging eigentlich permanent bergauf (was auch nicht verwunderlich ist, wenn man bedenkt, daß wir auf einer Strecke von ca. 75km ca. 1000 Höhenmeter überwinden mußten). Die erste interessante Begegnung hatten wir nach ca. einer Stunde Fahrt. Neben der Straße entdeckte ich ein RoBuR-Bus umgebaut als Camping-Auto mit deutschem Kennzeichen. (Leider kann ich mich nicht mehr erinnern, aus welcher Stadt sie waren, aber es war auf jeden Fall aus den "neuen Bundesländern" - oder anders gesagt 'n Ossi wie ich). Sie hatten da ihr Nachtlager aufgeschlagen und wollten erst am nächsten Tag weiter fahren. Wir hatten uns natürlich kurz mit den beiden unterhalten. Sie tourten bereits seit 3 Montaten mit dem Bus und waren tatsächlich die ganze Strecke von Deutschland bis dahin gefahren (schlappe 2200km Luftlinie).

Ein paar Fahrminuten nach dieser Begegnung kamen wir zu einer recht schmalen Brücke. Der Bauart nach (und dem Schild, was auf einer Seite stand) war diese Brücke bereits von den Römern gebaut worden und fast 2000 Jahre alt (und ca. 60m hoch). Wir konnten beobachten, wie ein Bus die Brücke überquerte. Allerdings hielt der Bus erst einmal vor der Brücke an. Zwei oder drei Passagiere stiegen aus. Als der Bus die Brücke überquert hatte, liefen die ausgestiegenen Passagiere zu Fuß über die Brücke und stiegen wieder in den Bus ein. Es war schon eine Meisterleistung mit dem Bus über die Brücke zu kommen. Er hatte auf beiden Seiten nur wenige Zentimeter bis zum steinernen Brückengeländer (daß sicher nicht von den Römern stammte). Dem eingangs erwähnten Schild konnten wir entnehmen, daß die Brücke in den 80er Jahren komplett saniert wurde.
Ein Einheimischer, mit dem wir uns unterhielten, erzählte uns eine etwas andere Geschichte. Ein voll beladener LKW wollte über die Brücke fahren. Leider war die Brücke der Belastung nicht gewachsen und stürzte ein, wobei sie den LKW samt Fahrer mit in die Tiefe riß. Daraufhin wurden die Steinblöcke aus dem Fluß geborgen und die Brücke soweit möglich mit den originalen Steinquadern wieder aufgebaut. Nach dieser Erzählung war mir auch klar, warum einige Passagiere aus dem Bus ausgestiegen sind.

Ein Stückchen weiter trafen wir auf eine alte Frau mit einem riesigen Bündel Reisig. Wir hielten an und boten ihr an mitzufahren - was nicht ganz einfach war, da wir kei türkisch und sie kein Wort englisch oder deutsch sprach. Irgendwie haben wir es dann geschafft, ihr verständlich zu machen, was wir wollten und sie nahm das Angebot gern an. Etwa 3 oder 4 km die Serpentinen weiter bergauf bedeutete sie uns auf einmal anzuhalten. Sie stieg wieder aus, nahm ihr Bündel Reisig, bedanke sich noch einmal bei uns und lief dann wieder zu Fuß weiter. Wir wunderten uns zuerst, weil weit und breit kein Dorf oder ähnliches zu sehen war. Zwei oder drei Kurven später sahen wir dann aber ein kleines Dorf etwas abseits der Straße in einem Tal gelegen. Da wollte sie wohl offensichtlich hin, wollte aber wohl, daß niemand erfährt, daß sie ein Stück mitgenommen wurde.

Irgendwann sind wir dann auch im Dorf angekommen. Das erste, was uns empfing, war eine Traube Kinder, die auf die Straße sprang und sich selbst durch wildes hupen nicht beeindrucken ließen. Weiterfahren ohne jemanden zu verletzen unmöglich...wir waren umzingelt. Zum Glück hatten wir Michael dabei, der ja schon da war und uns schon vorgewarnt hatte. Er verhandelte dann auch mit einer jungen Frau, die offensichtlich sowas wie die Anführerin des "Rudels" war. Ein von ihr ausgewählter Junge erhielt etwas Geld von uns und paßte im Gegenzug auf das Auto auf - man könnte es auch Schutzgeld nennen.
Michael hatte mit ihr ausgehandelt, daß wir von den Kindern in Ruhe gelassen werden - gegen einen kleinen Unkostenbeitrag versteht sich. Danach mußten wir noch zum Dorfältesten, der auch noch mal etwas Geld wollte, damit wir das Amphitheater besichtigen dürfen. Alles in allem sind wir da 5-10 EUR (genau weiß ich es nicht mehr) los geworden. Für uns nicht viel Geld, aber das machen die bei jedem Touristen und beschert dem Dorf eine nicht zu unterschätzende Einnahmequelle.
Nachdem wir uns das Amphitheater in aller Ruhe angeschaut uns ausgiebig fotografiert hatten, wurden wir von der jungen Frau noch zu einem Tee eingeladen. Wir nahmen diese Einladung gern an und erfuhren so noch ein wenig über das Leben im Dorf und ihre Familie. Da oben ticken die Uhren deutlich langsamer, aber das entbehrungsreiche Leben läßt die Menschen trotzdem schneller altern. Die junge Frau hatte ich auf Ende 20, Anfang 30 Jahre geschätzt. Tatsächlich war sie erst 18 jahre alt. Die meisten jungen Männer verlassen das Dorf um in den Städten zu arbeiten oder im Ausland zu studieren. Zu unserer Überraschung war da auch kaum eine Frau verschleiert. Die Religion spielt zwar eine wichtige Rolle, aber die Auslegung ist eher mit den bei uns lebenden Christen zu vergleichen, die höchstens zu den christlichen Feiertagen mal in die Kirche gehen.

Landschaftlich ein malerischer Fleck Erde. Auf den ersten Blick meint man 100 Jahre in der Zeit zurück katapultiert worden zu sein. Was das Bild stört ist eine Satellitenschüssel und der Mittelklasse-Mercedes des Dorfältesten. Mit diesen Eindrücken verließen wir das Dorf wieder - viel später als geplant - um uns auf die Rückfahrt zu begeben. Michael übernahm die Rückfahrt und ich muß sagen, nachdem wir die Flasche mit der Bremsflüssigkeit auf der Hinfahrt entdeckt hatten, wäre ich nicht so sportlich die Serpentinen runter gefahren. Auf dem Weg nach unten setzte die Dämmerung ein und wir mußten alsbald das Autolicht einschalten. Hier erlebten wir unsere letzte Überraschung. Beim Abblendlicht brannte nur ein Scheinwerfer....glücklicherweise der linke. Fürsich genommen erstmal nicht wirklich ein ernstes Problem. Wir hatten freie Fahrt und auch Gegenverkehr sahen wir nur selten. Man schaltet also einfach auf Fernlicht um. Als Michael das tat, war's plötzlich ganz dunkel! Zurückgescshaltet auf Abblendlicht brannte wieder der linke Scheinwerfer. Wir waren also mit Abblendlicht halb blind und mit Fernlicht ganz blind.
Wir konnten nur hoffen, daß der letzte funktionierende Glühfaden nicht auch noch den Geist aufgab. Nach reichlich der halben Strecke hatten wir dann einen LKW vor uns, hinter dem wir einfach blieben, solange er in unsere Richtung fuhr. Der Glühfaden hielt auch durch, so daß wir noch pünktlich zum Abendbrot wieder im Hotel ankamen.

Fazit: Selge ist auf jeden Fall ein Besuch wert. Man sollte sich jedoch damit abfinden, permanent von Kindern bedrängt zu werden. Landschaftlich wunderschön gelegen und wenn man mit den Einheimischen ins Gespräch kommt - die übrigens gut deutsch sprachen - gewinnt man auch noch einen kleinen Einblick in deren Kultur, der sich stark von der in Deutschland immigrierten Türken unterscheidet.
 
Zweites Fazit: Vor einer Fahrt den Mietwagen GRÜNDLICH checken. Auch einen Blick unter die Motorhaube und unter das Auto kann nicht schaden! Hätten wir das beherzigt, wären wir mit dem Auto - was bei uns mit Sicherheit keine HU-Plakette bekommen hätte - sicher nicht los gefahren.